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Vom Stammbaum zum Netzwerk

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Das städtische Patriziat der Frühen Neuzeit definierte sich über politische Partizipation, ökonomischen Erfolg und ein ausgeprägtes Familienbewusstsein. Als Ratsfamilien bestimmten sie politisch und ökonomisch massgeblich das Gemeinwesen. Dieses Muster lässt sich vielerorts nachweisen; auch für Basel trifft es zu, wo sich im Bild vom Daig allerdings eine besonders treffende Formulierung eingebürgert hat.

Aktenstücke betreffend die Familie Faesch und insbesondere das Museum des Remigius Faeschexpand icon

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Voraussetzung für den Aufstieg dieser Familien war das Bürgerrecht. Viele Familiengeschichten beginnen mit der Erinnerung an denjenigen Ahnen, der als Erster ins städtische Bürgerrecht aufgenommen wurde. Bei den «ckdt» etwa, also der Familie Burckhardt, ist es der «Stoffel», der 1523 eingebürgert wurde. Bei den Faesch ist es Heinzmann, der schon 1409 das Basler Bürgerrecht erwarb. Das Wissen um die eigene Migrationsgeschichte ging rasch verloren.

Der Stammbaum der Faesch dokumentiert Herkunft und behauptet lokale Tradition.

Im Stammbaum fand Bewusstsein der eigenen lokalen Verwurzelung seinen passenden Ausdruck. Unter Aristokraten seit Jahrhunderten üblich, begannen an der Wende zur Neuzeit auch bürgerliche Geschlechter, ihre Herkunft und Geschichte so darzustellen. In Basler Familienarchiven sind solche Dokumente denn auch Legion – auch bei den Faesch, bis zu Napoleon und darüber hinaus.

Aufzeichnungen zur Verwandschaft zwischen den Familien Faesch und Napoleon Bonaparteexpand icon

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In Stammbäumen lassen sich Familiengeschichten in ihrer Individualität abbilden; zugleich bieten sie eine Form, ein Muster, in das sich alle Familien einschreiben können. Wenige Eckdaten machen es aus: Name und Lebensdaten bilden das Minimum, Eheschliessung(en) und Nachfahren garantieren den Fortbestand der Familie in der nächsten Generation.

Genealogie ist zunächst ein Interesse der Familie. Zusammengefasst für das städtische Patriziat und als Daten verfügbar, erhalten Stammbäume aber allgemeinere Aussagekraft.

Als Daten verfügbar, lassen sich Stammbäume auch sozialhistorisch auswerten. Neben Lebensdaten und Nachkommen werden hier die zwischen den Basler Ratsfamilien geschlossenen Ehen als Wordcloud gezeigt. Die Grösse eines Namens zeigt die Häufigkeit der Eheschliessungen mit der Familie Faesch an. Die Visualisierung fusst auf über 400 Eheschliessungen, welche zwischen 1530 und 1929 mit den Faeschs eingegangen wurden. Neben Ehen innerhalb der eigenen Familie verbanden sich die Faeschs statistisch vorzugsweise mit den Becks, Burckhardts und Bischoffs.

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Die Daten lassen sich zum Beispiel zeitlich eingrenzen, also etwa auf das 17. Jh., und zugleich nach Geschlecht differenzieren. Dies ermöglicht präziser zu beschreiben, mit welchen Ratsfamilien sich die Faesch damals verbanden, und auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Eheschliessungen von Töchtern und Söhnen darzustellen.

Auffällig ist wiederum, welche Namen herausstechen. Für alle Eheschliessungen im 17. Jh.: Burckhardt, Beck, Bischoff, Huber, Stähelin und Merian; für die Eheschliessungen der Töchter: Socin, Huber, Rhyner, Beck, Battier und Forcart und für diejenigen der Söhne: Bischoff, Werenfels, Beck und Burckhardt.Es lassen sich daraus sicherlich keine definitiven Schlüsse ziehen, aber immerhin Hypothesen bilden, etwa: Die Ratsfamilien blieben offenbar ganz gerne unter sich. Aber auch davon gibt es Abweichungen, beziehungsweise solche Aussagen gelten nicht immer gleich. Bei der Partner:innenwahl der Faesch im 17. Jh. etwa sucht man den Namen Faesch vergebens. Die Praxis, innerhalb der eigenen Familie zu heiraten, nimmt die Familie scheinbar erst ab dem 18. Jh. auf, dann dafür gleich wiederholt. Das ist für Basler Patrizierfamilien durchaus ungewöhnlich und müsste vertieft untersucht werden.

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Die Erweiterung des Datensets auf andere Basler Patrizierfamilien ist also naheliegend und sinnvoll. Wendet man dasselbe Verfahren auf die unter den Faesch’schen Eheleuten am meisten vertretenen Familien Burckhardt, Beck und Bischoff an, ergibt sich auch für diese Familien ein recht ähnliches Bild: Am häufigsten werden Ehen mit wenigen anderen Familien – sowie der eigenen – geschlossen. Die Burckhardt und Bischoff pflegen die Heiratspraxis innerhalb der eigenen Familie allerdings bereits im 17. Jh.

Mit Ehen wurde sichergestellt, dass der Daig weitgehend unter sich blieb.

Die Verbreiterung der Datengrundlage der Familie Faesch um die Eheschliessungen der Familien Burckhardt, Beck und Bischoff liesse sich nun leicht skalieren; denn für Basel liegen die Ergebnisse genealogischer Forschung zu etwa 180 Patrizierfamilen als frei zugängliche Daten vor (vgl. www.stroux.org).

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Die Verkettung einiger weniger Familien, wie sie hier vorgeführt wurde, könnte zu einem vollständigen Netzwerk augeweitet werden. Am Ende stünden so die Eheschliessungen von etwa 180 Familien über die gesamte Frühe Neuzeit als Datengrundlage zur Verfügung. Diese Datengrundlage könnte dann nach spezifischen Fragestellungen ausgewertet werden.

Die Qualität der Daten bestimmt die Möglichkeiten ihrer Auswertung.

Das ursprüngliche Interesse, die eigene Familie, ihre Herkunft und Geschichte als Stammbaum darzustellen, wird so zur Grundlage für eine digitale Geschichtsschreibung. Die Stammbäume als Quellen individueller Erinnerung lassen sich als Daten abbilden, mit denen patrizische Genealogien als Bestandteil eines städtischen Familiennetzwerks analysiert werden können. Bei all dem gilt es jedoch daran zu erinnern, dass die Qualität der Daten die Komplexität der Fragen und die Möglichkeit der Auswertung determiniert.