Aus Klöstern und Bibliotheken
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Neben dem weitaus grösseren Bestand an gedruckten Büchern befanden sich in der Bibliothek Faesch auch Handschriften. Der Online-Katalog der Universitätsbibliothek weist etwa 250 Objekte mit dem Vermerk «Vorbesitzerin Museum Faesch» aus; dies entspricht – ebenso wie bei den gedruckten Büchern – nur einem Teil des ursprünglichen Bestands, zugleich jedoch dem, was als digitale Daten gegenwärtig zur Verfügung steht.
250 handschriftliche Dokumente aus 1000 Jahren! Was jetzt?
Eine erste Sichtung zeigt ein heterogenes Korpus an Texten, das sich aber dennoch nach gewissen Kriterien auswerten lässt. Die Manuskripte können verschiedenen Bereichen zugeordnet werden; eine heutige Gliederung würde etwa folgendermassen aussehen:
- mittelalterliche Handschriften
- Korrespondenz
- Arbeitspapiere
- Familienschriften
- Varia
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Remigius Faesch selbst ordnete seine Bibliothek nach einem anderen Muster. Er wies sie schlicht den vier Fakultäten zu, nach denen die damaligen Universitäten Wissen und Forschung gliederten: Theologie, Jurisprudenz, Medizin und freie Künste. In dieser Logik verfasste er den von ihm 1628 begonnenen Bibliothekskatalog; das zweite Kriterium bot das Buchformat und damit auch die möglichst platzsparende Aufstellung im Bibliotheksraum.
Wie wird im 17. Jh. eine Bibliothek von 5'000 Bänden organisiert?
Jede Fakultät beginnt mit den grossformatigen Folianten und endet mit dem Oktav- oder Duodezformat, d.h. mit Büchern, für die eine Druckseite (Folio) entweder in acht oder zwölf Seiten aufgeteilt wurde
Die Einteilung in vier Fakultäten und nach Buchgrössen reichte offenbar aus, um eine Sammlung von etwa 5'000 Büchern in Ordnung zu halten. Einzig die Artistenfakultät (d.h. die Artes liberales oder freien Künste) wird in weitere Kategorien gegliedert (Historici, Politici, Antiquitates usw.) – und zwar recht kleinteilig.
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Verwendet man dieses Ordnungsschema nun auch für den überblickbaren Bestand an Handschriften, zeigt sich, weshalb die Feinverteilung der freien Künste sinnvoll oder gar notwendig war. Der weitaus grösste Teil der Manuskripte (65%) widmet sich Themen und stammt von Autoren, die der Artistenfakultät zuzurechnen sind.
Es ist methodisch inkorrekt, in diesen Daten ein präzises Bild der Gesamtbibliothek sehen zu wollen; präzise sind die Daten ausschliesslich für die darin abgebildeten Manuskripte. Extrapolationen unvollständiger Daten sind ausgesprochen problematisch. Dennoch können sie als Daten über sich selbst hinausweisen, weil sie sich mit anderen Daten korrelieren lassen – und zwar methodisch sauber.
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Im Sinne einer solchen Korrelation lassen sich die Handschriften etwa mit dem alten Bibliothekskatalog in Beziehung setzen. Denn auch der Katalog macht quantitative Angaben zur Gesamtbibliothek in der Anzahl Seiten, die im Katalog den Bestand nach Fakultäten umfassen.
Die Relationen zwischen den vier Fakultäten in den beiden Datensets sind überraschend ähnlich. Ebenso wie bei den Handschriften machen auch im Katalog die Bücher aus der Artistenfakultät den weitaus grössten Teil aus (68%). Den markantesten Unterschied weist der Umfang theologischer zu juristischer Literatur auf. Beläuft sich die Theologie in den Manuskripten nur auf knapp 6%, nimmt sie im Katalog fast drei Mal so viel Raum ein. Umgekehrt liegt der Anteil theologischer Bücher in den Handschriften bei einem guten Viertel (26%), während er im Katalog der Handschriften nur die Hälfte beträgt.
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Diese Beobachtung führt zur Struktur und Provenienz des Handschriftenbestandes zurück. Eine Gliederung nach Entstehungszeit bietet eine Erklärung. Einundsechzig Handschriften sind vor 1400 entstanden; darunter befinden sich nur ein einziger juristischer und zwei medizinische Texte. Die meisten Texte behandeln auch hier Themen der Artistenfakultät, doch sind über 40% theologischen Inhalts. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Faesch die mittelalterlichen Handschriftenbestände von Klosterbibliotheken erwarb, in denen Bücher theologischen Inhaltes gleichsam naturgemäss überproportional vorhanden waren.
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Über die folgenden drei Jahrhunderte nimmt bei den Handschriften der Anteil theologischer Schriften im Verhältnis zur Artistenliteratur kontinuierlich ab. Es lassen sich mehrere Beobachtungen anstellen, die gemeinsam zu diesem Ergebnis führen. Faesch sammelte mittelalterliche Handschriften, die er aus Klöstern bezog und die somit einen hohen Anteil theologischer Schriften aufwiesen. In der Überlieferung von Handschriften seit dem 15. Jh. hatte der Anteil nicht-theologischer Texte zugenommen; dieser Trend setzte sich im 16. und 17. Jh. fort und wurde in Faeschs eigener Produktion noch verstärkt. Gleichzeitig wurden seit dem 16. Jh. die laufenden theologischen Debatten zunehmend im Medium des gedruckten Buches ausgetragen. Schliesslich dürfte auch die konfessionelle Spaltung seit der Reformation einen Einfluss auf den Handschriftenbestand gehabt haben.
Sinnbildlich ist Faeschs Bibliothekskatalog selbst, für dessen Umschlag ein mittelalterlicher Psalter verwendet wurde. Als liturgisches Buch seiner Funktion beraubt, diente es einem Buchbinder noch als robustes Material.
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Einen anderen Blick in den Handschriftenbestand erlaubt eine Gliederung nach Sprache. Dominant ist Latein, und zwar für jede zeitliche Segmentierung – von der frühmittelalterlichen Überlieferung bis um 1700. Griechisch als zweite ‹alte Sprache› ist ebenfalls von Beginn an vertreten, stirbt aber im 17. Jh. gewissermassen aus, während die modernen Sprachen, namentlich Deutsch, Französisch und Italienisch, zunehmen.
Welche Themen, welche Sprachen finden sich in den Manuskripten der Bibliothek Faesch?
Das ist alles wenig überraschend und hängt nicht zuletzt auch mit dem Sprach- und Schriftgebrauch in den Gelehrtenkreisen der Frühen Neuzeit zusammen. Remigius Faesch selbst etwa benutzte das Lateinische nicht nur für wissenschaftliche Texte, sondern auch für den Bericht seiner Italienreise; aber er korrespondierte auch auf Französisch und natürlich Deutsch.
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Ein Blick auf die Sprachverteilung der gedruckten Bücher im Museum Faesch verleiht dem rein quantitativen Befund aber eine weitere Dimension. Diesbezüglich sind zwei Dinge auffällig. Erstens findet Hebräisch erst mit dem Buchdruck des 16. Jh. Eingang in die Bibliothek, andererseits wird das Verschwinden des Griechischen aus den Manuskripten durch einen beachtlichen Zuwachs im gedruckten Buch aufgewogen. Beides ist eng mit der Bedeutung Basels als Druckerstadt verbunden, wo diese beiden für den Humanismus wichtigen Sprachen auf international hohem Niveau im Buchdruck zur Anwendung kamen. Tatsächlich stammen alle sieben auf Hebräisch gedruckten Bücher in der Bibliothek Faesch aus Basler Werkstätten.
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Obwohl die Daten, die für den Handschriftenbestand vorliegen, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, lassen sich doch Beobachtungen anstellen.
Griechisch und Hebräisch finden mit dem Buchdruck nicht nur zurück in die Bücher, sondern auch nach Basel.
Diese liefern keine abschliessenden Ergebnisse, sondern haben weitgehend den Charakter von Hypothesen und Gedankenexperimenten; zugleich bilden sie die Grundlage für weiterführende Forschungsfragen. Die Daten können zudem mit anderen (Daten-)Beständen korreliert und in der Folge mit grösseren Forschungskontexten verbunden werden.